Liedergedicht
Heute Abend
die Last nicht mehr spüren,
die seit Wochen
meine Schultern niederdrückt
mit Gewichten,
wie Zentner schwer.
Nur wenige Stunden lang,
getragen wie auf Schwingen von Tönen
–die mir sonst immer Abstand gewährten –
doch schon lange nicht mehr
ihren Dienst wie selbstverständlich tun.
Gesang, der wie ein frühlingsfrischer Krokus
seinen Kopf durch die schwere Erdkrume empor kämpft.
Lila leuchtend wie die Zeit des Fastens,
der Ankunft.
Musik, die mir Linderung verschafft
in dieser Zeit,
die mir so schwer zu schaffen macht.
Genuss, für eine Weile
Das Vergessen nicht zu spüren
sondern einfach vergessen – unbewusst.
So wiege ich mich – wie der Krokus – im Wind
zu den befreienden Klängen.
Es ist mir gelungen.
Wie einen lang ersehnten Sieg
trage ich die Lieder
noch in meinen Gedanken
vor mir her, wie einen Blumenstrauß,
mit zu mir nach Hause von diesem Fest.
Trotzdem kehrt die Schwere mit ihrem Verklingen
unaufhaltsam zu mir zurück – kriecht in mich hinein.
Sicher bin ich mir,
sie wird mich zurückerobern.
Aber nun bin ich mir auch gewiss,
dass ich ihr wieder entkommen kann.
Ich muss keine Kriege gegen sie gewinnen.
Heute Abend weiß ich es wieder:
Es genügt,
eine Schlacht nach der anderen
zu meinen Gunsten zu entscheiden.
Die Töne kehren zu mir zurück,
wenn es in mir
wieder Frühling werden darf.
Ich warte in der winterschweren, erstarrten Erde
auf die Musik
die mir Leben verheißt.
© Anja Ollmert