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Aufrecht gehn, den Himmel sehn

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9. Dezember

Die Weihnachtskugel

 

Verdammt, war das wieder eisig heute. Patrick zog sich den alten, löchrigen Schal über den Mund und versuchte so, die Eisluft auszusperren, ehe der Atem in seinen Körper gelangte. In den drei Wintern, die er inzwischen auf der Straße verbracht hatte, hatte er gelernt, wie man sich vor dem Erfrieren schützte. 

Manchmal fragte er sich, wie er eigentlich hier gelandet war. Er war doch erst siebzehn. Hatte das ganze Leben noch vor sich. Ein Leben zwischen Müllsäcken, Parkbänken und Gelegenheitsjobs. Doch die Rasenflächen, die er im Sommer mähte, wuchsen auch ihm zuliebe nicht im Winter und irgendwann war alles Laub gefegt, wenn die meisten Gartenbesitzer nicht sowieso lieber selbst mit dem Laubbläser unterm Arm alles durcheinanderwirbelten. Dann war Schmalhans Küchenmeister, wie schon seine Oma zu sagen pflegte.

 

     Heute war der Hunger besonders groß. Patrick wühlte nicht gerne in den Mülleimern des Stadtparks, aber weil die Wege hier auch von Schülern genutzt wurden, gab es immer wieder ungeliebte Butterbrote, die den Weg in den Abfall fanden, ohne dass jemand zuvor hinein gebissen hatte. Er versuchte, nicht allzu auffällig in dem Blecheimer nach Essbarem zu forschen. Das war ihm noch immer ziemlich peinlich. Er achtete überhaupt darauf, immer sauber und halbwegs gepflegt zu sein. Man wusste ja nie, wen man traf, wenn man in der Stadt unterwegs war. Als er mit einem Stock eine Bananenschale beiseite schob, blinkte etwas unter dem Müll auf, das sein Interesse weckte. Bis zum Ellbogen versank sein Arm im Unrat. Mit einem Mal war die Neugierde so groß, dass er etwaige Zuschauer nicht mehr fürchtete. Schon hielt er es in der Hand und riss seine Augen erstaunt auf. Wie lange hatte er so etwas Schönes nicht mehr in Händen gehalten? Eine gläserne Kugel, die mit Schneekristallen aus Goldglimmer bestäubt waren. Vorsichtig drehte er die Kugel hin und her. Unter dem Gold war sie weiß lackiert und - als würde die kalte Luft dafür sorgen - erinnerte sie ihn an die vereisten Fenster eines schlecht isolierten Hauses. Genau solche Kugeln hatten Zuhause am Baum gehangen. Sie waren ein Erbstück der Mutter aus Kinderzeiten. Und ausgerechnet ihm hatte der Zufall nun diese eine in die Hände gespielt. 

     Noch eine ganze Weile saß Patrick auf der Parkbank und drehte die Kugel andächtig in den kalten Händen. Was sollte er nun damit anstellen? Sicher würde die Kugel kaputtgehen, wenn er sie in die Jackentasche steckte. Er bückte sich noch einmal zum Abfallbehälter und zog eine alte Zeitung hervor. In eine der Seiten wickelte er nun ganz behutsam seinen neuen Schatz und legte ihn obenauf in seinen Rucksack.

     "Kommt Zeit, kommt Rat", dachte er. Irgendwann würde er eine Idee haben, was er damit anfangen sollte.

Jetzt wurde es Zeit, in den Waschsalon zu gehen, um seine Klamotten zu waschen. Patrick besaß zwei Garnituren Wäsche, die er regelmäßig selbst wusch. Der Waschsalon war zum Glück nicht teuer und warm war es dort auch, während er wartete, dass sein Zeug trocknete. Sobald es fertig war, zog er sich um und warf auch die zweite Garnitur in die Maschine. So musste er nicht ständig herkommen und hatte für Notfälle saubere Kleidung. 

 

     Er betrat den leeren Waschsalon und steuerte auf die nächst stehende Maschine zu. Obenauf stand ein herrenloser Karton, doch Patrick beachtete ihn nicht und belud die Maschine wie gewohnt. Er setzte er sich und sah dem Treiben in der Trommel zu. Irgendwann wurde es langweilig und noch immer war außer ihm niemand hier. Da konnte er doch auch in den Karton schauen, den offensichtlich keiner vermisste. Er bog die offenen Enden auseinander und konnte sein Glück kaum fassen: In dieser Kiste lagen fünf blanke Weihnachtskugeln, das Glas ein wenig durchscheinend und in hellleuchtendem Rot. Sie waren schlicht, aber nicht weniger schön als die weiße Kugel, die in seinem Rucksack ruhte. Was war das heute nur? Zwei Stunden lang ließ Patrick den Karton nicht aus den Augen. Niemand kam, um ihn abzuholen. Als er umgezogen und seine Wäsche fertig war, war er noch immer allein. Und die Kugeln schienen auf ihn zu warten. Im Karton war auch noch Platz für die weiße. Er legte sie dazu und nahm den Karton unter den Arm. Dann verließ er den Waschsalon, um fünf Schätze reicher als zuvor. 

Langsam wurde es draußen dunkel. Zeit, sich einen Schlafplatz zu suchen. Weil es doch empfindlich kalt war, würde er heute in die Gastkirche gehen und um ein Bett bitten. Für eine oder zwei Nächte konnten Obdachlose dort unterkommen. Als er den Schlafsaal betrat, stand dort ein Haufen Kartons wie der, den er unter dem Arm trug.

     "Hallo Patrick!", begrüßte ihn der Pfarrer, der sich immer Zeit nahm, um Neuankömmlinge zu begrüßen. Patrick war für ihn kein Fremder. "Irgendwer hat heute nachmittag alten Weihnachts-schmuck bei uns abgegeben. Ich habe keine Ahnung, was wir damit tun sollen, aber ich will ihn auch nicht wegwerfen", erklärte er dem jungen Obdachlosen.

     "Wenn Sie das Zeug nicht brauchen, will ich mich morgen gerne darum kümmern!" Beim Anblick des Schmucks kam ihm eine Idee. Zwar passten all die Kugeln, Sterne und Glöckchen aus Glas weder vom Stil, noch in der Farbe wirklich gut zusammen, aber  einzeln betrachtet waren sie wunderschön. Er würde bis zum Fest sehen, wie er noch mehr Schmuck auftreiben konnte und den alten Baum im Stadtpark damit schmücken. Das sagte er dem Pfarrer nun, ehe dieser sich überlegte, ob man den Schmuck nicht doch zu Geld machen konnte. Auch die Gastkirche war auf Spenden angewiesen, damit Menschen hier unterkommen konnten. Und Essen und Schlafgelegenheiten waren sicher mehr wert, als ein geschmückter Baum.

     "Wenn du das alles morgen wegschaffst, kannst du es haben", erklärte der Pfarrer. In der Nacht zerbrach sich Patrick den Kopf, wo er seine neu gewonnenen Schätze lagern konnte. Es gab doch diese kleine Ruine, in die manche von ihnen krochen, wenn es stark regnete. Patrick musste darauf vertrauen, dass sein Versteck für ein paar Tage unentdeckt blieb. Morgens verpackte er alles sorgfältig. Als er loszog, baumelten an seinen Handgelenken  je vier volle Tüten. Das Versteck war leer, als er ankam. Zum Glück lagerte in einer Ecke ein Haufen Altpapier, für das sicher niemand Interesse zeigte. Er baute daraus eine Mulde, legte alles hinein und bedeckte den Schatz mit einer weiteren Lage Papier. Nur seinen ersten Fund, die weiße Kugel, behielt er, weil sie ihn an seine Mutter erinnerte. 

     Die letzte Adventswoche war angebrochen und Patrick hatte die Zeit damit verbracht, an unzähligen Haustüren zu schellen und um ausgedienten Weihnachtsschmuck zu bitten. Kaum jemand sagte nein. Die Meisten waren sehr freundlich, erkundigten sich nach seinem Vorhaben und gingen in den Keller oder auf den Dachboden, um nachzusehen, was sie entbehren konnten. Und Patrick, der niemals um Essen gebettelt hätte, fand seine selbst gewählte Aufgabe mit jedem Tag spannender. Er hatte begonnen, sich vorzustellen, welcher Schmuck zu den Personen passte, die ihm ihre Türen öffneten. Fast immer lag er richtig. Er staunte selbst über seine Menschenkenntnis. Die Tanne im Stadtpark hatte er bereits ausgewählt und als er am letzten Tag einen Haufen original verpacktes Lametta aus den 70ern bekam, war er überglücklich.

 

     Endlich war die Zeit gekommen, den Baum für das Fest herzurichten. In der Nacht vor Heiligabend trug er alles, was er gesammelt hatte, nach und nach in den Park. Direkt neben dem Baum stand eine Bank. Die brauchte Patrick, um auch die oberen Zweige zu erreichen.

Er war noch ein Junge gewesen, als er den letzten Baum geschmückt hatte. Seit dem Tod der Mutter hatte er keine Freude mehr daran gehabt und auf der Straße gab es ja keine Weihnachtsbäume -eigentlich. In dieser Nacht erschuf er einen und hörte erst auf, als alle Kerzen, Sterne, Äpfel, Kugeln und kleine bunte Spielzeuge in den Zweigen hingen und auch die goldenen Lamettafäden im Wind hin und her schwangen. Stolz betrachtete er sein Werk aus einiger Entfernung. Nun musste er nur noch eine Einladung aussprechen und darauf hoffen, dass bis zum nächsten Abend niemand dem Baum zu nahe kam und ihn womöglich zerstörte.

     Frühmorgens brach er zu einem langen Fußmarsch durch die Stadt auf. Er besuchte all die Plätze, an denen Menschen wie er sich aufhielten, um zu betteln oder ein vorübergehend ein warmes Örtchen zu haben. Er sprach Fremde und Bekannte an und sagte, sie sollten sich mit Beginn der heiligen Nacht in den Park begeben. Dort gäbe es eine Überraschung für alle. Doch keinem verriet er, worum es sich handelte. Sollten sie doch denken, dass es etwas zu Essen oder Freibier oder was auch immer gäbe. Gegen fünf ging Patrick zurück. Er saß ganz einfach auf der Bank und wartete. Zuerst blieb er allein. Doch dann tauchten die ersten auf. Und alle machten sie große Augen, als sie den Baum sahen. Er bat einige, ihm beim Anzünden der Kerzen zu helfen. Während sie den Baum umrundeten und die Lichter entzündeten, kamen immer mehr und bald war der Platz  voller Menschen. Nicht alle gehörten zu den Nichtsesshaften, die Patrick eingeladen hatte. Auch der Pfarrer hatte Wind von Patricks Aktion bekommen und seine Gemeindemitglieder aus der Kirche hinaus in die Dunkelheit getrieben, um den Gottesdienst draußen weiterzufeiern. 

So standen sie andächtig im Park. Die Augen derer, die vielleicht seit Jahrzehnten keinen Christbaum mehr gehabt hatten, leuchteten mit denen, die in jedem Jahr der Tradition folgten, um die Wette. Manch einer erkannte seinen gespendeten Schmuck, denn ab und zu zeigte jemand mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle am Baum und flüsterte dem Nachbarn etwas ins Ohr. Irgendwann begann eine dünne Stimme das Lied vom Tannenbaum zu singen, in das immer mehr einstimmten, bis wirklich jeder sang. Und die Nacht unter dem Baum wurde lang. Plötzlich gab es etwas Warmes zu trinken und auch so manches zu Essen, ohne dass klar war, woher die Gaben gekommen waren. 

     Um Mitternacht stand der Pfarrer neben Patrick und legte ihm einen Arm um die Schulter. 

     "Ich danke dir für den schönen Abend, Patrick. Du hast auch mir eine große Freude gemacht. Nach Weihnachten müssen wir uns über deine Zukunft unterhalten. Du kannst andere begeistern und das ist eine große Gabe, die du nicht ungenutzt lassen solltest. Wenn du willst, helfe ich dir, herauszufinden, wie du es anstellen kannst."

     Und Patrick, der mit seinen Händen ganz vorsichtig die weiß lackierte Kugel mit den Glimmerkristallen hielt, nickte. Auch er spürte, wie viel Freude er sich selbst und den anderen in dieser Nacht gemacht hatte. Und das alles wegen einer weißen Weihnachtskugel aus dem Müll. 

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