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Aufrecht gehn, den Himmel sehn

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15. Dezember

Väterchen Frost

 

Tatjana war noch nicht lange in Deutschland. Während sie so durch die weihnachtlich geschmückten Straßen schlenderte an diesem siebten Januar, ließ sie das letzte Jahr Revue passieren. Noch zum letzten Weihnachtsfest hatte sie bei der Großmutter am Küchentisch gesessen.
        „Glaubst du, dass es richtig ist, was du tust, mein Kind?“
        „Das werde ich sehen, wenn das erste Jahr um ist, Oma!“
        „Und woran willst du messen, ob es richtig war?“
        „Ich werde an meinen Fingern abzählen, was mir dort besser gefällt als hier in Russland.“
        „Dann bin ich gespannt, zu welchem Ergebnis du kommen wirst. Falls ich dann noch lebe!“
        „Ach Oma, du lebst ewig. Das weißt du doch!“, hatte Tatjana der kleinen alten Frau geantwortet, die dort mit dem obligatorischen Kopftuch saß und mit wachen Augen in die Welt blickte, obwohl sie schon auf die neunzig zuging.

        Heute war der Tag, an dem Tatjana ihre Abzählliste aufstellen wollte. Es würde nicht leicht werden, all die Ereignisse zu reflektieren und sie hatte sich überlegt, dass bei einem Spaziergang an der frischen Luft die Gedanken sicherlich besser fließen würden als in ihrem engen kleinen Zimmer. Das Zimmer, das auf der negativen Seite der Liste den ersten Punkt bilden würde. Dichtauf gefolgt von der Nachbarin, die bei Tatjanas Erscheinen den Kopf aus der Tür zu stecken pflegte, um ihr irgendeine bissige Bemerkung entgegenzuschleudern:
        „Na, das Russenfräulein wieder unterwegs gewesen? Sie haben wohl nicht viel zu tun, dass Sie immer spazieren gehen können, oder? Beim Amt die Hände offen halten, das könnt ihr gut. Euch auf eure deutschen Wurzeln berufen, wenn es sich lohnt. Aber am Samstag die Treppe putzen, dafür reicht euer Deutschsein nicht.“ Tatjana schüttelte es schon vor Ärger, wenn sie nur an Frau Klingenbiel dachte. Ihre Worte waren so scharf wie ihr Name. Eigentlich müsste sie Klingenbeil heißen, fand Tatjana. Doch wenn sie zu viel darüber nachdachte, würde sie die Frau wieder versehentlich mit falschem Namen anreden, wenn die Tür sich öffnete. Und die Tür würde sich öffnen – garantiert.

        Langsam wurde es Zeit für ein gutes Argument. Tatjana glaubte nicht, dass die Verfügbarkeit des großen Warenangebotes einen positiven Punkt wert war. Unter Hunger hatte sie in Russland nicht gelitten. Natürlich konnte man sich freuen, Bananen, Mango und unzählige andere exotische Obstsorten zur Verfügung zu haben. Doch die wichtigste Voraussetzung für Erdbeeren im Dezember war auch in Deutschland das nötige Kleingeld.

        Ihr derzeitiger Arbeitsplatz war ein gutes Argument zu bleiben. Es war zwar nicht so, dass Tatjana es liebte, Büros zu putzen, in denen die Schreibtischbesitzer tagtäglich Kaffeetassenränder auf den Platten hinterließen und auf deren Bildschirmen der Staub schneller wuchs als ihr Bart. Doch die Kolleginnen waren nett zueinander und riefen sich über die Tische hinweg Scherze zu, lästerten miteinander über die gerahmten Fotos der Frauen und Kinder darauf. Dass sie als Juraabsolventin auch andere Dinge tun konnte und mehr von manchen Akten verstand als die Anzugträger, das war hier nicht von Interesse. Ihr Studium wurde nicht anerkannt. Aber die 8,50 Euro Mindestlohn waren eben auch nicht zu verachten und sicherten ihr ein Einkommen, das ihr erlaubte, sogar noch etwas Geld für Oma zu sparen und es nach Russland zu schicken.

        Die Oma glaubte wahrscheinlich, Tatjana sei längst in der Branche etabliert und verfüge über ein eigenes Büro mit Internetanschluss. Tatjana grinste. Eigentlich hatte sie ja sogar mehrere Büros und der Netzanschluss war inklusive. Die Rechner in der Großraum-Kanzlei blieben auch nach Dienstschluss eingeschaltet und fast jeder hatte sein Passwort unter die Tastatur geklebt.

        Drei Nächte zuvor war er plötzlich hereingekommen: Ein Mann wie ein Baum, mit müdem Gesichtsausdruck, aber einem durchaus sympathischen Lächeln. Er hatte ihr freundlich Hallo gesagt und fand es gar nicht seltsam, dass sie am Arbeitsplatz seines Kollegen saß und eine Mail nach Hause schrieb. Im Gegenteil, er erkundigte sich zwar, was sie da tat, aber hörte sich ganz ohne Vorwurf ihre kleinlaute Antwort an. Und dann, nachdem sie ihm alles gestanden hatte, fragte er sie nach ihrer Meinung zu einem aktuellen Fall. Es war, als wüchse Tatjana mit jedem Vorschlag und jedem Einwand, den sie in dieser Nacht an ihn richtete. Die Angst, ein falsches deutsches Wort zu benutzen, fiel von ihr ab mit jedem neuen Satz, den sie sprach.

        Das Finale konnte sich sehen lassen. Frühmorgens um vier legte er die Akte zur Seite, nachdem Tatjana ihm diktiert hatte, was er niederschreiben sollte.

        „Darf ich dich nach Hause bringen?“
        „Ich bin noch nicht mit der Arbeit fertig!“, gestand Tatjana.
        „Wie viele Büros hast du noch vor dir?“ Er duzte sie einfach.
        „Noch vier. Aber das dauert sicher zwei Stunden. Ich bin sehr gründlich.“
        „Das habe ich längst gemerkt, wenn ich morgens herkomme, ist hier alles wie geleckt. Wir sind ja nicht gerade Weltmeister im Sauberhalten von Schreibtischen, nicht wahr?“ Jetzt lachte Tatjana.

        „Das kann man wohl laut sagen. Aber das größte Ferkel ist dein Kollege Schmidtke aus dem ersten Büro am Gang.“
        „Ich kenn die meisten hier gar nicht mit Namen. Aber Schmidtke kenn ich. Der ist nicht nur ein Ferkel, was seinen Schreibtisch angeht. Um den machen die meisten Sekretärinnen einen großen Bogen. Aber da fällt mir was ein. Wenn dein Jura-Abschluss nicht zählt, wie wäre es stattdessen mit einem Sekretärinnen-Job? Dann kannst du deinen zukünftigen Chefs ab und an mal einen vorsichtigen Rat geben und sicher merken sie schnell, dass du echt was drauf hast. Nur bei Schmidtke darfst du nicht anfangen. Der ist tabu!“ Der Hüne lachte ausgelassen. „Ich werde deine Bewerbungsunterlagen auf den Tisch in der Personalabteilung legen, wenn du sie bis morgen Nacht fertig hast. Ich weiß, dass sie gerade eine Ausschreibung laufen haben. Und ich werde dafür sorgen, dass die Entscheidung zu deinen Gunsten ausgeht.“

        „Und das sind keine leeren Versprechungen?“
        „Du wirst schon sehen. Und damit du mir glaubst, dass das kein leeres Gerede ist, werde ich dir beim Putzen helfen und dich nach Hause bringen.“
        „Das kann ich nicht annehmen.“
        „Du hast mir eben den Hintern gerettet, in einem Fall, den ich längst abgeschrieben hatte. Da ist die Putzaktion wohl das Mindeste. Ohne mich lägst du längst im Bett.“ Er schnappte sich Putzlappen und Eimer und wedelte den eigenen Schreibtisch sauber. Tatjana überlegte nicht mehr lange und eilte zum Nachbarschreibtisch. So ging es auf jeden Fall schneller.

        Es hatte zu schneien begonnen, als Tobias Tatjana nach Hause brachte. In sanften Flocken fiel der Schnee vom Himmel und hatte bereits eine feine weiße Schicht auf Bäume, Sträucher und Dächer gelegt. Im Schnee sah Deutschland dem fernen Russland schon ähnlicher. Ein Punkt auf Tatjanas Pro-Liste. Und es kamen einige dazu in den kommenden Tagen. Tobias hielt Wort. Sie erhielt eine Anstellung als Sekretärin und die erste Chance, ihrem Chef zu helfen, hatte sie bereits genutzt. War sie in den kommenden Monaten sparsam, würde sie sich eine bessere Wohnung leisten können. Und sie hoffte, Tobias würde an ihrer Seite bleiben. Die Freundschaft war ausbaufähig. Das Gespräch mit ihm schulte ihre deutsche Sprache. Wenn er dabei war, traute sich Frau Klingenbiel auch nicht mehr, unfreundlich zu sein.

 

        Heute war der Tag von Väterchen Frost. Ein besonderer Tag in Russland. Etwas Gutes, das seit der Wende auch offiziell wieder gefeiert wurde. Und für Tatjana in diesem Jahr etwas ganz besonderes. Tobias hatte sie zum Essen eingeladen. Zum ersten Mal. Hätte ihre Liste zu diesem Zeitpunkt weniger Pro-Argumente aufgewiesen, Tobias wäre genug, um Deutschland im kommenden Jahr eine zweite Chance zu gewähren. Tatjana würde der Großmutter die Liste schicken und noch ein Weilchen bleiben. Die Großmutter würde schließlich ewig leben. 

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