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Aufrecht gehn, den Himmel sehn

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14. Dezember

Nicht ohne einen Segen                                                          

 

Diese Geschichte folgt im Erzählmotiv einer wahren Begebenheit, lediglich die Protagonisten haben eine neue Rolle erhalten, die der dichterischen Freiheit folgt.

 

Ich stand frühmorgens auf dem vollen Bahnsteig als sie mir auffiel, weil sie sich seltsam verhielt. Sie war nicht sonderlich auffällig gekleidet, wenn man außer Acht ließ, dass ihr Mantel sicher schon in den achtziger Jahren seine besten Zeiten gesehen hatte. Trotzdem war er sauber und ordentlich, ebenso wie ihre ganze Erscheinung. Unter dem Arm hielt sie eine Tasche, fest mit dem Ellenbogen an ihren Körper gedrückt, als sei darin ein Goldschatz verborgen. Ihr Blick wirkte verloren.

Eigentlich war ich auf dem Weg zu einem wichtigen Termin mit meinem Bischof. Deshalb trug ich den Priesterkragen und einen dunklen Anzug, wie es sich gehörte, wenn man in offiziellem Auftrag unterwegs war. Doch mein Zug hatte Verspätung, das war soeben auf der Anzeigetafel zu lesen gewesen. Die Frau sah immer wieder zu mir herüber, als wenn sie etwas an mir störte. Im Augenblick waren Priester meiner Kirche in der Kritik. Das hielten viele für eine gute Gelegenheit, ihren Vertretern zu sagen, was sie von ihnen hielten. Beziehungsweise oft genug sagten sie auch einfach, dass sie gar nichts von uns hielten.

Nach einer Weile beschloss, ich, ihren Blick offen zu erwidern, auch weil sie mein Interesse geweckt hatte. Deshalb blickte ich nun zum wiederholten Male provozierend in ihre Richtung. Ich hatte das Gefühl, dass sie willkürlich ein paar Schritte an mich herangerückt war. Mir kam der Gedanke, sie würde vielleicht auf diesem Bahnsteig darauf warteten, in Kürze vor dem einfahrenden Zug ihr Leben zu beenden. Das würde ich nicht nur aufgrund meiner Profession verhindern wollen. Menschen, die in Notsituationen waren, hatten mich schon immer zum Handeln gezwungen.  

Der Zeiger der Bahnhofsuhr rückte im Sekundentakt vor und noch geschah nichts Aufsehenerregendes. Auch als ein ICE einfuhr, änderte sich daran nichts. Einige der Wartenden stiegen ein. Was, wenn es nun mein Zug gewesen wäre?, fragte ich mich im Stillen. Ich hätte die Frau auf dem Bahnsteig zurücklassen müssen und nicht erfahren, warum sie versuchte, eine Verbindung zwischen uns herzustellen. Als der ICE abfuhr, stand sie dicht neben mir und bewegte sich nicht. Ihr Blick hatte sich längst von meinem gelöst. Sie sah starr auf die leeren Gleise hinab und ich musste schon genau hinhören, um zu verstehen, was sie sagte, als sie nun zu sprechen begann:

„Sie sind doch ein Priester, oder?“ Es war wohl besser, sie bei der Antwort nicht anzublicken. Also sah auch ich auf die Metallschienen hinunter und erwiderte:

„Ja, das bin ich. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

„Das weiß ich nicht? Sind Sie im Dienst oder privat?“

„Priester sollten eigentlich immer im Dienst sein“, antwortete ich.

„Das gilt vielleicht für Sie, aber für alle Ihre Kollegen?“ Ich konnte ihre Zweifel verstehen, mochte aber an meinen Kollegen keine offene Kritik äußern. Was sollte das bringen? Ich war schon oft genug gezwungen, unser Priesteramt zu verteidigen. Auf die Dauer war das ein kraftraubendes Unterfangen.

„Heute haben Sie ja mich getroffen. Deshalb lassen Sie es ruhig darauf ankommen und fragen mich, was Sie wissen wollen.“ Wir blickten beide weiter stur geradeaus. Für Unbeteiligte wirkte es vielleicht, als würden wir nebeneinander Selbstgespräche führen. Ein verrückter Priester und eine seltsame Alte. Die Szene war wie festgefroren und niemand näherte sich uns, obwohl der Bahnsteig noch immer überfüllt war.

„Ich habe einen Diebstahl begangen, Herr Pfarrer!“, gestand sie nun. Dann blieb sie stumm.

„Einen Diebstahl?“, erkundigte ich mich. „Und nun wollen Sie beichten oder von mir wissen, was Sie mit dem Diebesgut anstellen sollen?“ Ich bemerkte, dass sie ihre Tasche noch fester an sich presste als zuvor. Wahrscheinlich waren die gestohlenen Gegenstände darin versteckt.

„Nein, ich habe meinen Mann gestohlen.“ Jetzt musste ich sie doch direkt ansehen und weil sie den Blick spürte, sah auch sie vom Boden auf.

„Das soll heißen, dass Sie eine Beziehung entzweit haben, damit Ihr Mann sich Ihnen zuwendet?“ Die Nöte der Menschen waren so vielschichtig, dass mich das nicht sonderlich beeindruckte. Geschiedene und Wiederverheiratete waren einer der ewigen Kritikpunkte und ich wusste, wie schwer sich mancher tat, wenn er persönlich betroffen war. Die Frau zeigte auf Ihre Tasche.

„Nein, Sie haben schon richtig gehört. Ich habe meinen Mann gestohlen und er ist hier drin.“

„In Ihrer Tasche?“ Nun war ich doch verwundert, begriff jedoch die Bedeutung nicht auf Anhieb.

„Ja, ich habe ihn ausgegraben und in diese Tasche gesteckt. Gestern, direkt nach der Urnenbestattung. Ich wollte nicht zu lange damit warten, weil ich dachte, ich schaffe es nicht, die Erde aufzugraben, wenn sie erst einmal fest geworden ist. Dann habe ich das Loch zugeschoben, die Blumen neu gepflanzt und ihn in die Tasche gesteckt. Aber weil das verboten ist, bin ich mir nun nicht mehr so sicher, was ich tun soll.“ In ihren Augen standen Tränen und ich spürte diese massive Verzweiflung, die mir ja schon mit Beginn unserer Begegnung greifbar erschienen war.

„Was wollen Sie denn tun mit der Urne und Ihrem verstorbenen Mann darin? Und Sie haben natürlich Recht: In unserem Land ist das nicht erlaubt.“

„Mein Mann ist als junger Kerl zur See gefahren und wenn er stirbt, dann sollte ich ihn dort verstreuen. Das war sein Wunsch und er hat nie etwas anderes gewollt. Jetzt bin ich auf dem Weg zum Meer.“

„Sie wollen also an die Küste fahren und Ihren Mann dort im Wasser verstreuen?“, hakte ich noch einmal nach. „Aber das hätten Sie doch auch mithilfe eines Bestatters regeln können.“

„Sehen Sie mich doch an“, erklärte sie und wies auf ihre unmoderne Bekleidung und die abgetragenen Schuhe, die mir jetzt erst auffielen. „Eine Seebestattung war einfach nicht drin.“

„Und da dachten Sie, Sie regeln das mit Ihren eigenen Möglichkeiten?“

„Aber es war doch sein Wunsch, was hätten denn Sie getan?“ Nun lag der schwarze Peter bei mir. Wollte Sie die Absolution zur Entführung der sterblichen Überreste oder was war ihr Begehr?

„Ich habe mir Ihre Geschichte jetzt angehört, aber ich sehe noch nicht, wie ich Ihnen helfen könnte, außer dass ich Ihnen zugehört habe.“

„Ich brauche Ihren Segen.“ Mehr sagte sie nicht.

„Sie suchen jemanden, der Sie begleitet, wenn Sie Ihren Mann zum Meer bringen?“

„Nein, er hat ja alles gehabt: Eine schöne Trauerfeier und die Gäste haben auch ihren Kuchen und die Brötchen bekommen. Aber jetzt ist nichts mehr da und ich will seinen Wunsch erfüllen. Aber ich brauche dazu einen Segen Gottes und dafür erschienen Sie mir genau der Richtige zu sein. Das ist doch Ihr Job, oder?“

„Da haben Sie wohl Recht. Aber hier mitten im Gedränge scheint mir kein geeigneter Ort zu sein. Und gleich kommt auch mein Zug.“

„Ich kann aber nicht mehr warten!“, erklärte sie. „Was glauben Sie, wie viel Mut es braucht, mit einer Urne herumzureisen?“ Das konnte ich mir gut vorstellen.

„Aber ohne einen Segen wäre es nicht dasselbe. Können Sie nicht Ihres Amtes walten? Gott ist doch überall, sagen Sie und Ihre Kollegen immer. Dann ist er auch auf dem Bahnsteig.“

Nun war ich unter Zugzwang. Deshalb sagte ich:

„Dann lassen Sie uns ein Stück von der Bahnsteigkante zurücktreten.“ Wir gingen rückwärts, bis wir an der Wand des Gebäudes standen. Sie nahm die Tasche und stülpte deren Rand um. Zum Vorschein kam ein Gefäß aus Edelstahl, an dem noch ein paar Erdkrumen hingen. Nun war ich gefragt. Ich fingerte meinen alten Rosenkranz aus der Tasche, weil ich ja keine Stola hatte und legte ihn über das Gefäß. Leise flüsterte ich die Segensworte und den Hymnus der Engel, die den Toten an seinen Ruheort begleiten sollten. Die alte Frau schluchzte unterdrückt. Als ich fertig war, nahm sie wieder beide Henkel der Tasche an sich und wischte sich die Tränen fort.

„Danke! Das wird ausreichen, damit er gut hinüberkommt.“ Wohin er kommen sollte, erklärte sie mir nicht, aber da ertönte das Signal, mit dem sich mein Zug ankündigte.

„Bitte!“, erwiderte ich. Dann sah ich sie fragend an und sie nickte, ohne dass ich meine Frage hatte laut werden lassen. Ich legte ihr die Hand auf die Stirn und zeichnete ein Kreuz darauf, damit auch sie gesegnet war.

 

„Ich wünsche Ihnen eine gute Reise, egal wohin Sie fahren.“ Dann fuhr mein Zug mit quietschenden Bremsen ein und ich musste los. Ich sah sie noch durchs Fenster am Bahnsteig stehen, als wir den Bahnhof verließen. Sie hob zögerlich eine Hand und winkte mir. In ihren Augen hingen ein paar Tränen, aber ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem vorsichtigen Lächeln. Dann sah ich sie nicht mehr.

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