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Aufrecht gehn, den Himmel sehn

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12. Dezember

Der rote Apfel

 

Der Dienst im Pflegeheim war schon an normalen Tagen ziemlich anstrengend. Nie hatte man genug Zeit, den alten Menschen zuzuhören, sie nach ihren Wünschen zu fragen oder sie einfach mal in den Arm zu nehmen. An Weihnachten aber war es der reinste Horror, fand Birgit.

 „Frau Staller, lassen Sie doch bitte die Kugeln am Baum hängen!“, wiederholte Schwester Birgit nun schon zum dritten Mal. Frau Staller antwortete vorwurfsvoll:
             „Äpfel müssen im Herbst geerntet werden. Sieh doch, mein Kind, wie reif und rund und rot dieses Exemplar ist. Wenn du es hängen lässt, kommen ruckzuck Scharen von Wespen und nagen daran herum. Das wäre doch wirklich zu schade. Dann eignen sie sich am Ende nicht einmal für einen Apfelkuchen.“

„Die Alte spinnt! Seit wann wachsen Äpfel an der Tanne?“, kicherte Herr Muster, der sich noch halbwegs im täglichen Geschehen orientieren konnte, dafür aber vor allem zu den Bewohnerinnen selten höflich und zuvorkommend war. Nicht umsonst hatte er ein langes und einsames Junggesellenleben hinter sich. Mit dem arthritischen Zeigefinger klopfte er sich dabei vielsagend an die Schläfe.

„Das sind Christbaumkugeln, Frau Staller!“, erinnerte Birgit die alte Dame einmal mehr. Doch ehe sie es verhindern konnte, hatte Frau Staller eine Kugel gepflückt und nun beschlossen, dass sie den Apfel gleich an Ort und Stelle verspeisen wollte. Birgit hechtete zu ihr hin und entwand ihr die Kugel im letzten Moment, ehe sie den Mund voller scharfer Glassplitter haben würde. Frau Staller entwickelte erstaunliche Kräfte, auch wenn Birgit sie am Ende besiegte und die Gefahr von ihr abwenden konnte. Frau Staller brach in Tränen aus und schluchzte laut:
            „Ich habe den Apfel nicht gestohlen, Fräulein. Der Baum gehört dem Herrn Pfarrer und der erlaubt uns Kinder immer, dass wir im Vorübergehen einen Apfel pflücken.“ Das Eingreifen der Schwester hatte sie erbarmungslos in eine längst vergangene Kindheit katapultiert.

„Nein, Frau Staller. Ich weiß, dass der Pfarrer Ihnen den Apfel geschenkt hat. Aber es war der falsche. Er hat sich vergriffen. In diesem Apfel steckt ein Wurm und den wollen Sie doch nicht mitessen, oder? Warten Sie, ich hole Ihnen einen schöneren.“ Und sie wandte sich ab, um der Frau einen Apfel aus dem Obstkorb zu klauben, der auf einer großen Anrichte stand.

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!“, krähte Frau Winter von der anderen Tischseite herüber. „Ich will auch einen.“

„Tut mir leid, Frau Winter, das war der letzte Apfel. Ich kann Ihnen noch eine Banane anbieten.“

„Warum ist die Banane krumm?“ fragte Frau Winter die Tischgemeinschaft, erhielt aber keine Antwort. „Wenn sie nicht krumm wär, wär es keine Banane mehr!“, gab sie dann zum Besten. Frau Winter liebte es, in Sprichwörtern, Floskeln und Redewendungen zu sprechen.

„Und wenn die Winter nicht dumm wär, nähm sie die Banane wortlos her!“ Birgit schüttelte den Kopf, als Herr Muster nun auch noch zu reimen begann. Birgit hasste solche Tage. Alles, was anders war als üblich, verunsicherte die Bewohner und brachte immer wieder neue Überraschungen zutage.

„Wieso Winter?“, schniefte Frau Staller. „Es ist doch Herbst!“ Herr Muster lachte hämisch und die anderen am Tisch lachten mit, auch wenn sie den Sinn nicht verstanden. Birgit wünschte sich weit fort an einen einsamen Strand in der Südsee…

 

Am nächsten Tag war Heiligabend. Schwester Birgit hatte die Äpfel noch am Vorabend an Zweige gehängt, die Frau Staller beim besten Willen nicht erreichen konnte. So war wenigstens eine Gefahr gebannt. Was konnte sonst noch passieren? Wenn die Bewohner die Strohsterne von den Zweigen pflückten, litt zwar der Baum darunter, aber das war das kleinere Übel. Nur bei dem Lametta war sie sich unsicher gewesen, aber ohne kam das Grünzeug nicht zur Geltung.

In der Küche hatte man, trotz des Aufwands, liebevoll ein Abendessen zubereitet, das die alten Menschen daheim nicht besser hätten haben können. Birgit und ihre Kollegin Tina deckten den Tisch mit dunkelgrünen Servietten, auf denen leuchtend rote Kerzen abgebildet waren. Dazu kamen heute zur Feier des Tages Weingläser für den Traubensaft. Was allerdings im ganzen Raum fehlte, waren echte Kerzen. Die durften sie aus Sicherheitsgründen nicht anzünden.

Im Hintergrund lief schon seit dem Vormittag leise Weihnachtsmusik im Radio und die beiden Schwestern summten bei der Arbeit leise mit. In Gedanken waren sie zu Hause bei der eigenen Familie, die wieder einmal Abstriche machen musste, weil die Frauen im Dienst waren. Aber der Feiertagszuschlag war für das Familieneinkommen auch nicht zu verachten und beide hatten dafür am 1. Feiertag frei. „Have yourself a merry little christmas“ sang Birgit leise den Refrain des Liedes mit.

„Die Tommys kommen!“, kreischte Herr Muster plötzlich. „Ich hör sie schon. Legt euch auf den Boden und haltet die Hände über den Kopf!“ Nach dieser Anweisung ließ er sich vom Stuhl rutschen. Der Rest der Tischgesellschaft blickte verständnislos zu ihm hin.

„Nun macht schon! Oder glaubt ihr, die Bomben fallen an euch vorbei?“ Er sprach gepresst, das Gesicht fest auf den Linoleumfußboden gedrückt. Birgit und die Kollegin hatten die Schockstarre überwunden und liefen zu ihm.

„Herr Muster, das war nur ein Propagandasender im Radio!“; erklärte Birgit geistesgegenwärtig. Der Mann hatte in seiner Jugend die letzten Kriegstage im zerbombten Dresden verbracht. Wann immer das Gespräch auf den Krieg kam, begann er zu zittern und hielt die Hände fest auf die Ohren gepresst. Eine solche Show wie heute hatte er allerdings noch nie abgezogen. Aber glücklicherweise hörte er auf das gute Zureden der Schwester, ließ sich vom Boden hochziehen und zurück auf seinen Stuhl setzen. Dort saß er nun, schwer atmend und immer noch aufgeregt. Auch Birgit pochte das Herz bis zum Hals. Nicht auszudenken, wenn Muster sich auf ihrer Schicht verletzt hätte. Die Dokumentation eines solchen Ereignisses hätte Tage in Anspruch genommen…

Die anderen hatten das Geschehen gleich wieder vergessen oder es war ihnen nicht seltsam erschienen, weil sie über eigene Kriegserfahrungen verfügten.

„Lassen Sie uns doch gemeinsam ein deutsches Weihnachtslied singen!“; schlug Schwester Tina vor und drehte das Radio aus. Noch einen englischen Weihnachtsschlager würde das Herz von Herrn Muster vielleicht nicht überstehen.

„Wo man singt, das lass dich ruhig nieder. Böse Menschen haben keine Lieder!“, antwortete Frau Winter.

„Genau, Frau Winter. Und deshalb singen wir jetzt auch „Alle Jahre wieder!“, vielleicht müssen wir dann nicht so lange auf das Christkind warten.“ Ablenkung war die beste Strategie und oftmals auch die einzige. Birgit holte tief Luft und sang den ersten Ton. Schon beim zweiten Wort stimmten die Bewohner mit ein. Singen konnten sie alle gut. Und die alten Texte waren so fest in den Köpfen verankert, dass sie auch nach Jahrzehnten aus dem Gedächtnis abrufbereit waren.

Nach zwei weiteren Weihnachtsliedern stand Frau Winter auf und rezitierte ein ellenlanges Gedicht, bis die beiden Pflegerinnen staunend applaudierten. Das forderte weitere Gedichte heraus und Frau Winter war am Ende kaum zu bremsen.

„Wir werden jetzt gemeinsam essen. Wenn Sie mögen, zünde ich schon einmal die Kerzen am Baum an. Die Bescherung gibt es aber erst hinterher.“ Birgit nickte der Kollegin zu und steckte den Stecker in die Dose, sodass der Baum erstrahlte. Gemeinsam trugen sie das Essen auf, schnitten Fleisch in Stücke, zerkleinerten Kartoffeln, reichten die Gabel an, wo es nötig war. Alles in allem waren sie rundum beschäftigt und es ließ sich nicht vermeiden, dass sie dabei nicht alle in der Tischrunde im Blick behalten konnten. Als Brigit sich wieder zu Frau Steuer umwandte, hatte diese neben dem Rotkohl ein paar Fäden goldenes Lametta auf dem Teller drapiert. Beides schwamm in einem See dunkelbrauner Bratensoße, die sich die Frau soeben mit dem Saucenlöffel aufgetan hatte.

„Halt, das kann man nicht essen, Frau Steuer. Das ist Lametta und es ist sicher nicht ganz ungiftig!“

„Nein, nein, Fräulein. Das ist Goldkohl, sehen Sie doch mal genau hin.“

„Daneben liegt Ihr Rotkohl, Frau Steuer. Der bekommt Ihnen sicher besser. Den Goldkohl nehmen wir besser vom Teller herunter.“ Birgit fischte die glänzenden Fäden aus der Sauce, während Frau Steuer einmal mehr eine Träne der Enttäuschung über die Wange rollte.

„Goldmarie und Pechmarie, welche davon sind wohl Sie?“ Herr Muster hatte die Kriegsereignisse wieder dort versenkt, wo sie seit Jahren ruhten. Dafür hatte er seinen Hang zu Reimen wiederentdeckt. Er wiederholte den Satz wie ein Mantra und bald hielt sich die ganze Tischgesellschaft die Ohren zu. Nur Frau Steuer hielt die saucenbeschmierten Finger vor das Gesicht und schämte sich. Birgit nahm ihre Hände und tröstete die alte Frau. Tina ging hinaus, um einen Waschlappen zu holen. Dann schellte das Stationstelefon. Es war der Chef, der als Weihnachtsmann verkleidet, die Geschenke vorbeibringen wollte. Er wollte schließlich Feierabend machen. Zuhause wartete die Familie auf ihn. Schwester Birgit sollte ihm helfen, die Sachen auf dem Servierwagen zu den Bewohnern zu rollen, wo er sie überreichen wollte. Das hieß, sie würde genügend Abstand halten müssen, damit niemand sich sein Paket selbst organisierte. Für einige Minuten waren Birgit und der Heimleiter beschäftigt. Deshalb registrierte keiner von beiden, dass Herr Muster beschlossen hatte, dass zum Weihnachtsfest auch echte Lichter gehörten. Wo er das Feuerzeig gefunden hatte, wusste hinterher niemand mehr. Mit zittriger Hand hatte der Alte die elektrischen Kerzen anzuzünden versucht und dabei die angetrockneten Tannenzweige in Brand gesetzt. Frau Winter roch es zuerst:
            „Es brennt. Es brennt. Die Feuerwehr, die rennt!“, schrie sie laut und da flog auch schon die Sicherung raus, denn die Kabel der Lichterkette schmolzen in der Hitze. Der einzige Lichtschein kam von dem Baum, der im unteren Bereich bereits munter vor sich hin brannte.

Der Heimleiter drehte sich hektisch um sich selbst und fand den Feuerlöscher nicht. Stattdessen griff er nach der Obstschale, die auf der Anrichte stand und ließ das Obst auf den Boden fallen. Dann griff er nach dem Traubensaft und goss ihn hinein, um die Schale mit einem gewaltigen Schwall über den brennenden Baum zu gießen. Tatsächlich hatte das den gewünschten Erfolg, auch wenn es ein wenig nach angebrannten Rosinen roch. Doch jetzt war es stockduster. Man hörte nichts außer dem Keuchen des Heimleiters. 

Als das Notstromaggregat ansprang, sah man die ganze Bescherung. Blutrote Saftflecken zierten die gelben Wände, dem Baum fehlte die untere Etage, an der verkohlte Strohsterne baumelten und einige Kugeln waren bei der Aktion in Scherben zersprungen. In den silbernen Bruchstücken spiegelte sich das Licht. Frau Steuer stand auf, ging zum Heimleiter und tippte ihm auf die Schulter:
            „Gibst du mir bitte den Apfel, Herr Weihnachtsmann? Den da ganz oben. Ich komm nämlich nicht dran und der Herr Pfarrer hat ihn mir versprochen.“

Der Heimleiter bückte sich und griff schnell nach einem Apfel, der über den Boden gerollt war. Dann reckte er sich und tat so, als habe er ihn von ganz oben gepflückt. Er hielt Frau Steuer den Apfel auf der ausgestreckten Hand hin.

„Bitte sehr. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten, Frau Steuer.“ Ein breites Lächeln ging über das Gesicht der betagten Dame:
            „Das wünsche ich Ihnen auch. Und grüßen Sie Ihre Familie recht herzlich von mir. Ich werde Ihrer Frau erzählen, wie freundlich Sie zu mir waren, wenn ich sie das nächste Mal treffe. Und euch wünsche ich auch ein frohes Weihnachtsfest!“ Dann rieb sie den Apfel an ihrem Rock, bis er glänzte und biss mit großem Appetit hinein.
 

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